reneromann hat geschrieben:ogn205 hat geschrieben:Die ausführlichen, öffentlich geführten Diskussionen der letzten Jahre darüber, warum es sowohl aus rechtsstaatlicher als auch aus demokratischer Sicht nur die schlechteste „Lösung“ sein kann, Seiten auf Provider-Ebene zu sperren, scheinen wohl am einen oder anderen vollständig vorbeigegangen zu sein…
DAS ist der springende Punkt. Daher gibt's ja auch die hohen Anforderungen, die das BGH gestellt hat - und zwar muss der Rechteinhaber erst gegen den Seitenbetreiber und dann gegen den Hoster vorgehen und nur wenn das nicht greift, sind die ISP dran. Wenn also der Seitenbetreiber kein Impressum angibt und für die Registrierung der Domain Anonymisierungsdienste benutzt (die die Daten nicht an die Rechteinhaber oder Staatsanwaltschaften rausrücken, weil sie der Meinung sind, dass sie es nicht müssten) -und- es dem Hoster völlig egal ist, was seine Kunden treiben -und- ein Verfahren z.B. in Russland überhaupt keine Aussicht auf Erfolg hat [die scheren sich nämlich zum Teil gar nicht um Urheber- oder sonstige Rechte, sofern nur genug Geld fließt], DANN können als letzte Waffe die ISP gezwungen werden zu sperren. Andernfalls hätte man nämlich einen rechtsfreien Raum, bei dem ein Geschädigter gar nicht gegen den Schädiger vorgehen kann...
Das Problem dabei ist nur, dass die Rechteinhaber wohl kaum immer den „vorgeschriebenen“ beschwerlichen Weg gehen werden, sondern wahrscheinlich sofort versuchen, das, was du als die „letzte Waffe“ bezeichnest, umsetzen zu lassen, nämlich die Sperre diverser Seiten durch den/die Provider.
Da das jetzt schon einmal funktioniert hat, wird es – noch ist das nur ein Worst-Case-Szenario - mit der Zeit immer mehr ausufern, so dass wir bald in die Situation kommen könnten, dass alle Provider Sperrlisten erhalten, die sie umgehend umsetzen müssen.
Murphy's Law folgend werden früher oder später auch rechtlich eigentlich unbedenkliche Seiten „aus Versehen“ auf den Sperrlisten landen. Für deren Betreiber dürfte es dann ziemlich aufwendig und schwer sein, wieder von den Listen entfernt zu werden.
Und ist eine solche Sperr-Infrastruktur erst einmal aufgebaut und aktiv, könnten deswegen plötzlich auch - natürlich ganz zufällig und ohne böse Absicht - Seiten mit „unliebsamen“ oder „kritischen“ Inhalten temporär oder dauerhaft nicht mehr erreichbar sein.
U.a. darum ging es in den Diskussionen um die „Web-Sperren“, die dann aufgrund öffentlichen Drucks in die „Löschen statt Sperren“-Initiative umgemünzt wurden, nämlich, dass nicht auch in Deutschland - unter dem Deckmäntelchen der Durchsetzung des Urheberrechts und der Verfolgung von Straftaten im Internet - ein Weg in die (Internet-)Zensur bereitet wird.
Nicht zuletzt deswegen sehe ich die ganze Situation mit gemischten Gefühlen: Im Moment ist es ja noch nur eine Seite mit rechtswidrigen Inhalten, die recht einfach umgehbar per DNS-Eintrag bei einem Provider „gesperrt“ wird. Es besteht aber IMHO durchaus die Gefahr, dass weitere Seiten (u.U. auch mal investigative Portale mit für diversen Personengruppen unbequemen Inhalten
) und zusätzliche Sperrmaßnahmen bei anderen Providern recht schnell folgen könnten…